Samstag, 17. Oktober 2015

Fleißige Biene

Übers Thema "Stimmen" hatte ich neulich schon mal was geschrieben. In früheren Zeiten waren die Stimmwirbel selbstverständlich auch aus Holz geschnitzt: ähnlich wie Geigen- oder Cello-Wirbel, aber zwangsläufig meist gröber ausgeführt. Gelegentlich findet man auch heute noch Kantele-Modelle mit Holzwirbeln. Da bei der Kantele viele dieser Stimmwirbel dicht in Reihe stehen, wird als "Verlängerung" oft noch ein geschlitztes Rundholz verwendet, das auf die platten Enden des Holzwirbels gesteckt wird. Ich warte ja noch auf meine "Kokle" - die wird Holzwirbel haben.

Eine "Biene" (hier: 6,25 * 40 mm). Links das Gewinde, dann das
Bohrloch zur Aufnahme der Saite. Rechts: abgeplattete Seiten. Eigenes Foto.

Üblich geworden sind aber heute sogenannte Zither-Wirbel. Es gibt sie in verschiedenen Größen. Eigentlich kommen diese Wirbel aus dem Klavierbau. Aufgrund der zunehmenden Nachfrage nach Klavieren entschloss sich Wilhelm Wagner im Jahr 1853 dafür, in Plettenberg die bisher handwerklich hergestellten "Stimmnägel" für Klaviere nun schneller, günstiger und präziser industriell herzustellen. Weitere Infos über die Firma Wagner gibt es hier: Klick!

Ob der Name "Biene" für diese Art Stimmwirbel etwas mit dem quergestreiften "Hinterteil", dem Gewinde, zu tun hat, kann ich nur vermuten. Jedenfalls verdanken Wagners Bemühungen auch Generationen von Zitherspielern und eben auch wir Kantele-Spielerinnen und -Spieler eine erhebliche Erleichterung. Auch wenn die Wirbel nicht übersetzt sind, lassen sie sich doch ohne Mühe mit Hilfe eines Stimmschlüssels präzise in die richtige Position drehen.

Wer sich selber eine Kantele baut, sollte bei der Wahl der richtigen Stimmwirbel ein paar Aspekte bedenken:
  • Die richtige Länge
    Die hängt davon ab, wie dick die Materialstärke des Instruments an dieser Stelle ist. 2 cm oder mehr wären schon gut, um den Stimmwirbeln eine gute Führung zu geben. Dafür eignen sich Stimmwirbel mit etwa 40 bis 45 mm Länge.
  • Der richtige Durchmesser
    Stimmwirbel gibt es mit verschiedenen Durchmesser. Das hat gute Gründe: im Lauf der Jahre sorgt der Stimmvorgang dafür, dass die Bohrung im Holz erweitert wird. Dadurch werden die Stimmwirbel immer leichtgängiger - und irgendwann haben sie dem Saitenzug nichts mehr entgegenzusetzen - die Saite verstimmt sich dauernd nach unten. Spätestens dann ist es Zeit, Stimmwirbel mit einem etwas größeren Durchmesser einzusetzten (oder vom Instrumentenbauer einsetzten zu lassen).
    Beim Eigenbau ist zu beachten, dass die Stimmwirbel im Hartholz sitzen. Wird für die Kantele Weichholz wie Fichte verwendet, dann muss die Stelle vorher "ausgebuchst" werden: dazu wird eine ca. 10-12 mm große Bohrung ins Holz gesetzt und ein Rundholz aus Hartholz (z.B. Buche, Ahorn oder eben auch: Buchsbaum) eingeleimt. Wenn der Leim abgebunden hat, wird darin dann das Führungsloch für den Stimmwirbel gebohrt.
    Auch hier ist zu beachten: Man wählt den Bohrer ca. einen halben Millimeter kleiner als den Durchmesser der "Biene": also z.B. einen 4-mm-Bohrer für eine Biene mit 4,5mm Durchmesser). Außerdem ist es so, dass die Stimmwirbel zunächst mit dem Hammer ein Stück weit ins Bohrloch geklopft werden. Erst dann dreht man mit dem Stimmschlüssel noch ein wenig in die richtige Position. 
  • Links- oder rechtsdrehend
    Tatsächlich gibt es beides. Bei handelsüblichen Kantelen werden "rechtsdrehende" Wirbel verwendet. Das bedeutet: dreht man mit dem Uhrzeigersinn, wird die Saite aufgewickelt - die Saitenspannung erhöht sich, der Ton wird höher.
Auch der Stimmschlüssel muss zum Stimmwirbel passen. Es ist etwas verwirrend, den passenden Schlüssel zum entsprechenden Wirbel zu finden. Denn die Stimmwirbel werden nach Durchmesser klassifiziert (z.B. 4,5 oder 6,25 mm etc.).

Bei Stimmwirbeln wird normalerweise die innere Kantenlänge
angegeben. Eigenes Foto.

Die Millimeter-Angaben bei den Stimmschlüsseln beziehen sich dagegen üblicherweise auf die Seitenlänge des quadratischen Innen-Vierkants. Deshalb sind Vierkant-Schlüssel in aller Regel kleiner zu wählen! Bei meinen Kantelen von Melodia Soitin und von Lovikka sind Wirbel mit ca. 4,5 mm Durchmesser verbaut - der dazugehörige Stimmschlüssel hat ca. 4 mm Innen-Kantenlänge. Bei der Koistinen-Kantele ist der Durchmesser etwas größer.

Oben: optimaler Sitz. Unten: Innen-Kantenlänge des Schlüssels
etwas zu kurz; insgesamt noch brauchbare Kombination. Eigenes Foto.

Wenn möglich, sollte man vor dem Kauf ausprobieren, ob der Schlüssel passt. Wichtig ist jedenfalls: der Schlüssel sollte satt auf dem Stimmwirbel sitzen, so dass man präzise stimmen kann.

Text und Fotos: Peter Widenmeyer, 2015

Sonntag, 11. Oktober 2015

Der Vetter aus dem fernen Osten: Taisho Koto

Wer rund ums Thema "Kantele" durchs Internet surft, stößt früher oder später auch auf die Kantele-Szene in Japan. Es gibt eine ganze Reihe von Artikeln, Blog-Einträgen und natürlich Youtube-Videos, die das belegen. Da mein Japanisch noch schlechter ist als mein Finnisch, verweise ich hier z.B. mal auf einen Blog-Beitrag in Englisch:

Kantele in Japan (bei Kantelista)

Woher kommt die Affinität der Japaner zur finnischen Kantele? Instrumente aus der Familie der Zithern haben ja auch im Fernen Osten eine lange Tradition. Auf dem folgenden Bild ist eine Dame zu sehen, die ein 13-saitiges Koto spielt.

Koto-spielende Dame. Zeichnung von Hasegawa Settei (1878).
Bildquelle: Wiki Commons. Public Domain.

Gewisse Ähnlichkeiten zur finnischen Kantele sind durchaus vorhanden - auch wenn das japanische Pendant zu den Wölbbrett-Zithern gehört (die Kantele ist eine griffbrettlose Kastenzither). Beim Koto werden alle Saiten etwa gleich gespannt. Die unterschiedliche Tonhöhe der einzelnen Saiten wird durch die "Gänsefüßchen", das sind einzeln verschiebbare Stege, erzeugt. So kann sogar während des Musizierens die Stimmung nachjustiert oder auch eine andere Tonleiter eingestellt werden.

Nun aber von der Kantele zu dem Instrument, das ich heute hier vorstellen möchte: das Taisho Koto.

Entfernte Verwandtschaft: Taisho Koto aus Japan (oben) und
finnische Kantele (unten). Eigenes Foto.

Zither-Instrumente waren in Japan in vielen Fällen auf die Verwendung am Hof oder im Tempel beschränkt. Sie waren also nicht unbedingt "volkstümliche" Instrumente. Zudem wuchs im 19. Jahrhundert in Japan das Interesse an westlicher Musik (und die Begeisterung für Mechanik, die vielleicht die Grundlage für die heutige sprichwörtliche Begeisterung für die Elektronik in Japan war).
So wurden im späten 19. Jahrhundert zwar "westliche" Instrumente wie Geige und Klavier importiert. Es gab aber keine für jedermann erschwinglichen Instrumente, mit deren Hilfe man in Japan die europäische Musiktradition hätte vermitteln können.
Hier schuf nun Herr Nisaburo Kawaguchi (Künstlername: Goro Morita) Abhilfe. Nach diversen Konzert- und Bildungsreisen nach Europa brachte er im Jahr 1912 das erste "Taisho Koto" (大正琴) auf den Markt. "Koto" in Anlehnung an das oben erwähnte traditionelle japanische Instrument, und "Taisho", da nur wenige Wochen zuvor ein neuer Kaiser den japanischen Thron bestiegen hat. Nach seinem Kaiser-Namen "Taisho" ist die gesamte Ära der folgenden Jahre benannt.
Man weiß nicht sicher, ob Goro Morita auf seinen Reisen nach Europe und in die USA tatsächlich Instrumente wie Hummel oder Mountain Dulcimer kennen gelernt hat (wenngleich - neben anderem - die Bordun-Saiten durchaus daran erinnern). Aber dass er sich bei der "Tastatur" des Instruments von den mechanischen Schreibmaschinen jener Zeit inspirieren ließ, ist unumstritten. Das Taisho Koto verfügt über ein schmales, bundiertes Griffbrett. Die Saiten werden aber nicht mit den Fingern abgegriffen, sondern indem sich beim Niederdrücken der entsprechenden Taste der metallene Hebel auf die Melodiesaiten legt. Darüberhinaus verfügt das Taisho Koto - je nach Bauart - über eine oder mehrere Bordunsaiten. Diese werden von den Hebeln im wahrsten Sinn des Wortes nicht tangiert. Bei manchen modernen Instrumenten verzichtet man ganz auf die Bordun-Saiten und verwendet das Taisho Koto als reines Melodie-Instrument.

Hier sieht man Sattel und "Schreibmaschinen"-Mechanik des Taisho Koto.
Dieses Modell (Kawai KT-35) hat rechteckige Tasten. Eigenes Foto.

Hier der typische Steg: rechts die Melodiesaiten (hier: vier), die über das
Griffbrett laufen, links die tiefer liegenden Bordun-Saiten. Eigenes Foto.

Insgesamt sind die spielerischen Möglichkeiten des Taisho Koto begrenzt. Es ist für mich sozusagen die Melodica unter den Saiteninstrumenten. Andererseits ermöglicht es einen niederschwelligen Zugang zur Musik - auch älteren Menschen oder solchen, die keine Möglichkeit haben, ein komplexeres Musikinstrument zu erlernen. In Japan wird es deshalb oft - auch im mehrstimmigen - Ensemble oder mit Playback gespielt. Laut und durchsetzungsfähig ist das Instrument jedenfalls. Ich habe hier mal ein europäisches Stück in Moll auf dem Taisho Koto eingespielt:


Weitere Informationen gibt es hier...
... auf Wilfried Ulrichs Hummel-Seite
... auf der Homepage des "Lyrist"-Projektes
... und auf meiner eigenen Taishokoto-Seite: www.taishokoto.de

Text, Fotos und Video: Peter Widenmeyer, 2015
Bildquelle Zeichnung Koto-spielende Frau: Wiki Commons. Gemeinfrei.

Samstag, 3. Oktober 2015

Jetzt kommt Stimmung in die Bude!

Die Kantele sauber durchzustimmen ist auch für mich - mit über 40 Jahren Erfahrung mit Saiteninstrumenten - immer noch eine kleine Herausforderung. Einer der Gründe dafür ist, dass bei der Kantele üblicherweise sogenannte Zitherwirbel verbaut werden - und die sind, anders als bei Gitarre & Co. - nicht übersetzt. Das bedeutet: jeder halbe Millimeter Drehung wirkt sich unmittelbar auf die Stimmung aus. Worauf man achten kann, möchte ich in diesem Blog-Beitrag einmal genauer beschreiben.

Das Werkzeug
Zur Stimmung der Kantele braucht man natürlich einen Stimmschlüssel. Neuen Instrumenten liegt meistens einer bei. Grundsätzlich unterscheidet man die kürzeren T-Schlüssel. Wer lieber mit einem etwas längeren Hebel arbeitet, wählt einen sogenannten L-Schlüssel. Wichtig ist aber, dass die Stärke der Stimmwirbel mit dem Innen-Vierkant des Stimmschlüssels zusammenpasst.

Unten: T-Schlüssel. Oben: L-Schlüssel. Eigenes Foto.

Außerdem braucht man natürlich eine Referenz für den richtigen Ton. Früher musste man einfach nur den Telefonhörer abheben, um einen lupenreinen Kammerton "A" (440 Hz) zu erhalten. Heute haut das nach meiner Erfahrung nicht mehr immer hin. Wer ein gutes Gehör hat, kann sich an einer handelsüblichen Stimmgabel oder Stimmpfeife orientieren und das Instrument dann nach Gehör durchstimmen. Ansonsten bieten sich auch Instrumente wie Mundharmonika, Melodica oder Klavier an, wenn man weiß, wo die entsprechenden Töne liegen. Am einfachsten geht's natürlich immer noch mit einem elektronischen Stimmgerät. Die kosten nicht viel und die meisten lassen sich per Clip irgendwo ans Instrument heften. Allerdings sollte man bedenken: elektronische Stimmgeräte liefern zwar immer eine mathematisch genaue Stimmung. Das passt gut für chromatische und bundierte Instrumente. Diatonische Tonleitern (und die Kantele ist ein diatonisches Instrument) folgen aber nicht zu hundert Prozent der mathematischen Teilung. Das kann ich hier nicht ausführen - ich sage nur: schult auch euer Gehör, und kommt nicht gleich in Panik wegen ein paar Cent Abweichung auf dem Stimmgerät!

Den richtigen Ton holt man sich von anderen Instrumenten oder mit einem
geeigneten elektronischen Stimmgerät. Nicht im Bild: Stimmpfeife. Eigenes Foto.

Der richtige Dreh
Die wichtigste Regel: man stimmt immer von tief nach hoch. Denn auf diese Weise setzt man der vorhandenen Saitenspannung (die den Wirbel ja sozusagen "zu sich her" und damit "nach unten" ziehen will) die entgegengesetzte Richtung entgegen.
Das bedeutet: hat man die Saite etwas zu hoch gestimmt, dann dreht man sie wieder leicht unter den gewünschten Ton und nähert sich dann wieder "von unten her" auf den richtigen Ton hin.
Dazu sollte man sich bewusst machen, wie sich die jeweilige Drehrichtung auf die Stimmung auswirkt. Das folgende Bild zeigt dies aus Sicht des Spielers (das heißt bei den kleinen Kantelen: kurze Saite zum Spieler, lange Saite entfernt vom Spieler).

Drehung im Uhrzeigersinn erhöht den Ton, Drehung gegen den Uhrzeigersinn
verringert die Saitenspannung und der Ton wird tiefer. Eigenes Foto.

Eine weitere Schwierigkeit: immer, wenn man den Stimmschlüssel ansetzt und dreht, übt man auch leichten Druck auf ihn aus. Man drückt ihn beim Hochstimmen automatisch leicht von sich weg. Dadurch erhöht sich die Saitenstimmung (nach meiner Erfahrung) leicht nach oben. Es macht deshalb Sinn, beim Überprüfen der Stimmung immer mal wieder den Stimmschlüssel loszulassen (dabei aber auf dem Stimmwirbel sitzen zu lassen) und dann zu schauen, was das Stimmgerät anzeigt. Daran sollte man sich orientieren.

Stimmschlüssel immer mal wieder loslassen, um den Stimmwirbel zu entlasten
und dann Saitenstimmung überprüfen. Eigenes Foto.

Ebenfalls ein häufiger Fehler: manchmal verwechselt man die Saite, die man stimmt und die Saite, die man anschlägt. Wenn man also dreht und es tut sich nichts: sofort aufhören! Dreht man nämlich immer weiter, kann die Saite reißen! Auch deshalb empfiehlt es sich, die Saite erstmal leicht nach unten zu stimmen und dabei eben zu überprüfen, ob man auch am richtigen Stimmwirbel dreht!

Immer überprüfen, ob man tatsächlich auch die Saite anspielt,
an deren Stimmwirbel man dreht! Eigenes Foto.

Check-Out
Und nun: mit diesen Spielregeln im Kopf einfach mal durchstimmen - solange, bis das Stimmgerät "grünes Licht" gibt.

So sollte es aussehen. Eigenes Foto.

Wichtig ist noch: viele elektronische Stimmgeräte haben verschiedene Modi für spezielle Instrumente, zum Beispiel Abweichungen vom Kammerton oder einen speziellen Modus für ganz bestimmte Instrumente! Bitte einfach mal die Bedienungsanleitung des Geräts lesen!
Hier auf dem Foto wurde die richtige Stimmung gewählt: bei diesem Gerät steht "C" für "Chromatisch", also die ganz reguläre Tonhöhen-Erkennung.

Wichtig ist auch: bei 10-, 11-, 15- oder mehr-saitigen Instrumenten sollten auch die Oktaven sauber stimmen, sonst klingt es irgendwie schief. Wer sein Gehör ein bisschen schult, hört nach einiger Zeit, ob es passt. Wer die Oberton-Technik (Flageolett) beherrscht, kann einige Saiten auch mit dieser Technik sehr genau überprüfen. So sollte die Tonhöhe z.B. der tiefen A-Saite, im Flageolett gegriffen, genau mit der hohen A-Saite übereinstimmen.

Die Oktavreinheit sollte am Ende nochmal überprüft und gegebenenfalls
nachgestimmt werden. Eigenes Foto.

Zum Glück bleibt die Kantele dann in sich relativ stimmstabil, selbst wenn die Stimmung insgesamt im Lauf von Wochen sich leicht absenken kann. So lange man nicht mit anderen Instrumenten zusammen spielt, muss man also nicht immer gleich wieder nachstimmen.

Mit diesen Tipps im Hinterkopf sollte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Viel Erfolg!

Text und Bilder: Peter Widenmeyer, 2015