Samstag, 26. September 2015

Modellvergleich Koistinen Wing 5 - Lovikka Modern 5

Neulich wurde ich nach dem Unterschied zwischen den "modernen" Modellen von Koistinen und Lovikka gefragt. Da ich davon jeweils nur die fünfsaitigen Versionen habe, möchte ich die Unterschiede an diesen beiden Instrumenten zeigen. Das meiste gilt aber sinngemäß auch für die 11-saitigen Modelle der beiden Hersteller.

Vorweg ist zu sagen: beide Instrumente sind hervorragend verarbeitet. Bei beiden Instrumenten ist der Korpus aus dem massiven Holz herausgefräst (vermutlich CNC-gesteuert). Dadurch gibt es wahrscheinlich auch kaum Qualitätsschwankungen innerhalb der Bauserien. Mit beiden Instrumenten fährt man gut, und ich kann auch keine großen klanglichen Unterschiede feststellen.

Die Frage "Koistinen oder Lovikka?" ist also letztlich eine Frage der persönlichen Vorlieben. Ich möchte hier vier Aspekte hervorheben:

1. Instrumentenform

Draufsicht Koistinen Wing 5 (oben) und Lovikka Modern 5 (unten).
Eigenes Foto.

Das Foto macht die typische Form beider Modelle deutlich: bei Koistinen eine sehr großflächige Decke, komplett abgerundet. Das Koistinen-Modell ist schmaler und hat dort, wo die tiefen Saiten auslaufen, die typische Einbuchtung. Außerdem ist die Kante des Instruments an dieser Seite noch einmal abgefast.
Man sieht hier auch eine Besonderheit des Koistinen-Modells, die mich persönlich ein wenig stört: das Deckenholz ist Erle, die geschwungene Auflage für die rechte Hand dagegen aus dem deutlich helleren Ahorn-Holz. Das sieht bei Natur-Lackierung für mich etwas seltsam aus - bei einem farbig lackierten Modell spielt es freilich keine Rolle.

2. Halbtonhebel

Halbtonhebel bei Koistinen (oben) und
Lovikka (unten). Eigenes Foto.

Bei beiden Herstellern sind die Halbtonhebel ein kostenpflichtiges Extra. Bei Koistinen kostet jeder Hebel derzeit 50,-- Euro Aufpreis, bei Lovikka werden pro Hebel 45,-- Euro fällig. Üblich und sinnvoll ist bei den fünfsaitigen Modellen jeweils ein Hebel an der mittleren Saite, um schnell von f nach f# umschalten zu können. Bei den 11-saitigen Modellen empfehlen sich 5 Hebel. Einzelheiten zu den damit erzielbaren Stimmungen gibt's direkt im vorigen Beitrag dieses Blogs.
Auch wenn der Hebel bei Koistinen schön geschwungen ist, gefällt mir persönlich die Lösung von Lovikka besser. Bei Koistinen stört mich, dass an der Stelle, wo die Saite am Hebel entlangläuft, Kunststoff verwendet wird. Sicher möchte man damit einem Abreißen der Saite an dieser Stelle entgegensteuern - aber für mich sieht das auch wie ein Verschleißteil aus. Meine Befürchtung ist, dass sich die Saite im Lauf der Zeit in den Kunststoff "hineinfrisst" und irgenwann eine Reparatur erfordert. Außerdem missfällt mir bei Koistinen, dass die Schraubhülse des Hebels messingfarben ist (im Unterschied zu den chromfarbenen Stimmwirbeln und dem eigentlichen Halbtonhebel) - und dass mehrere Schrauben-Windungen aus dem Holz ragen. Das sieht für mich bei Lovikaa einfach alles solider und "stimmiger" aus.
Beide Systeme funktionieren aber gleich gut und verändern die Saite je nach Hebelstellung ziemlich exakt um einen halben Ton nach oben bzw. nach unten.

3. Saitenführung

Saitenführung auf der Stimmwirbelseite bei Koistinen (oben)
und bei Lovikka (unten). Eigenes Foto.

Im Zusammenhang mit den Halbton-Hebeln ist ein weiteres Detail zu beachten. Bei Lovikka sind die Saiten, an denen sich kein Stimmhebel befindet, in traditioneller Weise direkt vom Stimmwirbel weggeführt. Dort, wo sich ein Hebel befindet, ist allerdings ein zusätzlicher Führungsstift erforderlich (siehe untere Hälfte des obenstehenden Fotos). Dadurch liegt diese Saite sozusagen an drei Stellen an, die Saiten ohne Hebel aber nur an einer. Das verändert die Saitendruck-Verhältnisse etwas - und auch ganz leicht den Klang. Außerdem verschiebt es auf dieser Saite auch leicht die Oberton-Positionen, das hatte ich an dieser Stelle schon einmal beschrieben (erstes Foto im dortigen Post). Deshalb macht es Koistinen so, dass sie grundsätzlich vor jeden Stimmwirbel einen zusätzlichen Stift setzen - selbst bei Kantelen, auf denen überhaupt keine Halbton-Hebel installiert sind (siehe obere Hälfte des obenstehenden Fotos). So fällt keine Saite klanglich aus der Reihe, und auch die Obertonposition bleibt schön regelmäßig.

4. Saitenhalterung

Saitenhalterung bei Koistinen (oben) und
Lovikka (unten). Eigenes Foto.

Schließlich noch ein Unterschied: Lovikka hat sich auch bei seinen "modernen" Modellen für eine eher traditionelle Lösung entschieden, was die Aufhängung der Saiten betrifft. Bei Lovikka ist dieses Teil im Wesentlichen wie ein klassischer "Ponsi" gestaltet - lediglich ein wenig eckiger. Beim 11-saitigen Modell befindet sich etwas außerhalb der Mitte noch einen weiteren hölzernen Steg. Auf der Bassseite sind sechs Saiten aufgehängt, auf der Diskantseite nur fünf.
Koistinen hängt alle Saiten jeweils an Einzelstiften auf (so, wie es auch andere Hersteller tun).
Klanglich nimmt sich das nichts, es ist vor allem eine Frage der Optik.

Wer sich für die Modelle von Lovikka oder Koistinen interessiert, hat also die Qual der Wahl. Beide Instrumente sind von der Verarbeitung her vergleichbar. Unterm Strich sind die Modelle von Koistinen etwas teurer als die Modelle von Lovikka.

Wer vor allem wegen der Halbton-Hebel zu den beiden Marken tendiert, dem empfehle ich jedoch, über folgende Alternative nachzudenken: eine 11-saitige Lovikka mit fünf Stimmhebeln kostet derzeit 505,-- Euro, eine Koistinen mit dieser Ausstattung sogar 685,-- Euro; jeweils zuzüglich Porto und Versandkosten. Die Hebel sind praktisch, wenn man etwa auf der Bühne schnell zwischen Dur und Moll umstimmen muss. Wo das nicht erforderlich ist, sollte man überlegen, ob man statt des teuren Hebelsystems nicht lieber zwei Kantelen ohne Hebelsystem anschafft. So habe ich mich letztlich entschieden: eine meiner zehnsaitigen Kantelen von Melodia Soitin ist in Dur, die andere in Moll gestimmt. Ich wechsle einfach das Instrument. Und sollte mal Besuch kommen und mit mir zusammen Kantele spielen wollen, dann habe ich stets zwei Instrumente zur Verfügung. Und günstiger ist diese Lösung auch noch: eine 10- oder 11-saitige Kantele von Melodia Soitin kostet derzeit 215,-- Euro zuzüglich Porto.

Text und Fotos: Peter Widenmeyer, 2015

Samstag, 12. September 2015

Jetzt wird D-molliert!

Keine Angst - es wird jetzt nicht destruktiv! Im Gegenteil - das Umstimmen auf D-Moll erweitert das Repertoire erheblich. Und zwar unabhängig davon, ob man lieber Melodien spielt oder einfach nur mit Akkorden die eigene Stimme oder ein Melodie-Instrument begleiten möchte.

Um die fünfsaitige Kantele auf D-Moll umzustimmen, muss man lediglich die mittlere Saite (in diesem Fall f#) um einen Halbton herunterstimmen. Ein Stimmgerät erleichtert das kleine Manöver. Noch leichter haben es alle, deren Kantele an der mittleren Saite einen Halbton-Hebel hat. Einfach nur umlegen, schon kann man von Dur nach Moll wechseln - und umgekehrt. Das wurde hier im Blog schon an anderer Stelle erläutert.

Und so sieht die Moll-Tonleiter auf der fünfsaitigen Kantele dann aus:

D-Moll-Tonleiter auf der fünfsaitigen Kantele. Eigene Grafik.

Auf der zehn- bzw. elfsaitigen Kantele muss man ein paar Saiten mehr umstimmen - und je nach gewünschtem Lied auch eine Entscheidung treffen. Denn in der musikalischen Tradition gibt es verschiedene "Arten" von Moll-Tonleitern. An dieser Stelle lassen wir das sogenannte "Zigeuner-Moll" und das Melodisch Moll (bei dem die Aufwärtsskale anders aussieht als die Abwärtsskala) außer acht.

Es bleiben dennoch zwei gängige Moll-Varianten, die ich im folgenden kurz erläutern möchte: nämlich "Natürlich Moll" und "Harmonisch Moll".

Natürlich Moll
Zu jeder Dur-Tonart gibt es eine "verwandte" Moll-Tonart. Diese verwandten Tonarten erkennt man daran, dass sie in der Notenschrift dieselben Vorzeichen haben - sie starten aber jeweils mit einem unterschiedlichen Grundton. D-Moll ist die Parall-Tonart zu F-Dur. In der Notenschrift haben beide Tonarten ein "b" als Vorzeichen. Der Ton "h" (internationale Schreibweise "b") kommt also in diesen Tonleitern nicht vor, sondern wird zum Ton "b" (internationale Schreibweise "bb") erniedrigt.

Startet man auf dieser Skala beim Ton "d", so ergibt sich eine Moll-Skala, die für viele Lieder und Melodien passt. Was die Akkordbegleitung angeht, ändert sich an den Griffbildern gegenüber der Dur-Stimmung nicht viel: bei gleicher Fingerstellung ergibt sich halt jetzt statt "D" der Akkord "Dm" (D-Moll - manchmal auch einfach mit einem Kleinbuchstaben "d" gekennzeichnet), statt "G" der Akkord "Gm" bzw. "g" (G-Moll) und aus "A7" wird jetzt "Am7" oder einfach "a7" (A-Moll sieben). So weit, so gut.

Harmonisch Moll
Eine kleine Veränderung dieser "natürlichen" Moll-Skala bietet aber die Möglichkeit, ein wenig mehr "Spannung" in Moll-Lieder zu bringen. Dazu wird z.B. bei der D-Moll-Tonleiter der siebte Ton der Skala (also c) um einen Halbton erhöht, also auf c# hochgestimmt. Diese Skala nennt sich "harmonisch Moll", weil sich ein wichtiger Akkord, die sogenannte Dominante, dadurch in ihrer Harmonie dramatisch verändert. Wie beim Natürlich Moll wird in dieser Stimmung beim Akkordspiel gegenüber der Dur-Stimmung aus "D" ein "Dm" und aus "G" ein "Gm".
Aber: der aus der Dur-Stimmung bekannte Akkord "A7" verändert sich beim Harmonisch Moll nicht in einen Moll-Akkord, sondern bleibt ein scharfer, drängender, spannungsreicher "A7" aus der Dur-Familie!

Je nachdem, welche Akkorde zum gewünschten Lied passen - insbesondere also, ob man Am7 (A-Moll sieben) oder A7 (A-Dur sieben) braucht, sollte man die Kantele also entsprechend durchstimmen. In Notenschrift sehen die beiden Stimmungen für die zehn- bzw. elfsaitige Kantele dann so aus:

Natürlich Moll und Harmonisch Moll auf der zehnsaitigen Kantele. Eigene Grafik.

Natürlich Moll und Harmonisch Moll auf der elfsaitigen Kantele. Eigene Grafik.

Für die zehnsaitige Kantele ergeben sich aus diesen beiden Moll-Varianten folgende Griffbilder:

Grifftabelle (Auszug) für zehnsaitige Kantele. Eigene Grafik.

Übrigens: man fragt sich ja manchmal, warum die Urform der Kantele in Finnland nur fünf Saiten hat, während die ganz "kleinen" Kantele-Verwandte im Baltikum oft zumindest über 6-7 Saiten verfügen. Hier könnte einer der Grunde dafür liegen: für den Wechsel von Dur auf Moll muss nur eine einzige Saite verändert werden. Hätte die Kantele zusätzlich eine C-Saite oder eine H-Saite (oder beides), dann müssten 1-2 weitere Saiten umgestimmt werden.

So bleibt aber auf der fünfsaitigen Kantele einfach manches offen: ob "A7" ein Am7 oder A7 ist, darüber muss man sich bei der fünfsaitigen Kantele keinen Kopf machen - der selbe Griff passt für beide Akkordangaben.

Text und Grafiken: Peter Widenmeyer, 2015

Dienstag, 8. September 2015

Obertöne

Vor einiger Zeit hatte ich ja hier beschrieben, wie man die Positionen für die Erzeugung von Obertönen auf der Kantele finden und markieren kann.

Heute möchte ich die Technik noch ein wenig näher beschreiben. Der Trick dabei ist im Prinzip folgender:
  • Saite mit einem Finger an einer markierten Position leicht abgreifen, Finger liegen lassen
  • Saite mit einem anderen Finger anzupfen und...
  • ... ein klein wenig später den "Greiffinger" abheben, damit die Saite nachklingen kann.
Klingt soweit ganz einfach. Für die Umsetzung gibt es mehrere Möglichkeiten:

Mit zwei Händen

Von vorne gesehen: der Zeigefinger der linken Hand (hier rechts im Bild) greift
die Saite ab, der Zeigefinger der rechten Hand zupft an. Eigenes Foto.

Diese Technik bietet sich an, wenn zum Beispiel beim Melodiespiel zwischendurch ein Oberton erklingen soll. Die Hände bleiben einfach in Spielposition, der Zeigefinger der einen Hand greiftk die Saite an der gewünschten Stelle ab, der Zeigefinger der anderen Hand zupft die Saite ganz normal an.

Mit einer Hand - Variante 1

Hier greift der Daumen an der richtigen Position ab,
der Zeigefinger zupft direkt daneben an. Eigenes Foto.

So habe ich mir das angewöhnt, wenn ich etwas längere Tonfolgen in der Obertonreihe spielen will. Dabei greife ich mit der Daumenkante der rechten Hand ab, der Zeigefinger der rechten Hand liegt direkt an. Damit zupfe ich die Saite an und drehe die Hand dann leicht und hebe dabei die Daumenkante von der Saite ab. Ich fürchte, diese Methode ist reichlich unorthodox, auch wenn sie für mich gut funktioniert.

Mit einer Hand - Variante 2

Hier greift der Zeigefinger an der richtigen Position ab,
der innenliegende Daumen zupft die Saite an. Eigenes Foto.

Folgende Angabe ist ohne Gewähr! Aber wenn ich es richtig weiß, dann greifen Harfenspieler ihr Flageolett genau umgekehrt: hier greift der Zeigefinger die Saite ab und der daneben gelegte Daumen schlägt die Saite an. Meine Vermutung ist: bei der Harfe, wo die Saiten ja vertikal verlaufen, klappt das sicher gut. Für mich klappt bei der Kantele Variante 1 besser, da die Saiten vertikal vor mir liegen. Aber vielleicht ist es auch nur Übungssache und man kann sich wahrscheinlich mit beiden Varianten anfreunden.

Vorhin habe ich auch ein kleines Liedchen aufgenommen, das komplett in der Oberton-Lage gespielt wurde. Ich bin darin noch nicht so furchtbar gut, aber man merkt vielleicht in welche Richtung es gehen soll. Nun ist die Kantele sowieso schon recht leise - bei den Obertönen ist das erst recht der Fall. Was da im Hintergrund der Aufnahme schnurrt, ist nicht unser Kater sondern vermutlich der Autofokus meiner Kamera. Gespielt mit einer Hand, mit der oben als Variante 1 bezeichneten Technik.


 Viel Spaß beim Ausprobieren!

Fotos, Videos und Text: Peter Widenmeyer, 2015