Freitag, 14. August 2015

Hast du Töne? Ja, mehr als du denkst!

Manche Klein-Kantelen sind mit Markierungen versehen, die sich ungefähr auf halber Länge der Saite befinden (z.B. bei Koistinen Wing und Lovikka Modern). Andere Modelle (z.B. Melodia Soitin und Lovikka traditionell) haben diese Markierungen nicht. Im folgenden erkläre ich, wozu diese Markierungen gut sind und wie man sie selber anbringen kann, wenn man ein Instrument ohne diese Markierungen hat.

Links: Koistinen Wing 5. Klebepunkte direkt unter den Saiten, linear.
Mitte: Lovikka Modern 5. Farbtupfer neben Saite, 3. Punkt leicht versetzt.
Rechts: Melodia Soitin. Punkte mit Bleistift von mir selbst angebracht.

Zunächst: Wozu sind diese Markierungen gut?
Die Kantele hat ja einen sehr kleinen Tonumfang. Auf der fünfsaitigen steht ja noch nicht mal eine komplette Tonleiter zur Verfügung. Hier kann man nun eine auch von anderen Saiteninstrumenten bekannten Technik auch auf die Kantele übertragen: das Flageolett-Spiel. An bestimmten Stellen einer Saite kann man statt dem Grundton bestimmte Obertöne (auf Englisch: harmonics) hörbar machen. Bei der Kantele legt man dazu einen Finger genau auf Höhe dieser Markierung leicht auf die Saite. Dann schlägt man mit einem Finger der anderen Hand die Saite an und hebt kurz danach den auf der Saite liegenden Finger ab. Das klappt vielleicht noch nicht gleich auf Anhieb. Aber mit etwas Übung kann man schon bald den Saiten andere Töne entlocken. Wenn das klappt, kann man auch probieren, das Abgreifen und das Anschlagen der Saite mit nur einer Hand gleichzeitig zu bewerkstelligen - zum Beispiel, indem man die Daumenkante auf die Saite legt, mit dem Zeigefinger anschlägt und dann leicht verzögert auch den Daumen abhebt.

Bevor's weitergeht, erst noch eine kleine Anmerkung zum obenstehenden Vergleichsfoto: Mich persönlich irritiert beim Koistinen-Modell etwas, dass sich die Punkte direkt unter der Saite befinden. Hat man das Instrument nämlich in Spielhaltung vor sich, dann schaut man ja von schräg oben auf das Instrument. Dadurch kommt dann z.B. der für die erste (tiefste) Saite gedachte Punkt optisch unter die zweite Saite zu liegen usw. Deshalb macht es Sinn, wie bei Lovikka die Punkte etwas vom Betrachter entfernt vor die Saite anzubringen - aber genau im rechten Winkel von der Stelle aus, wo der Schnittpunkt auf der zugehörigen Saite liegen würde!
Die kleine Abweichung bei der dritten Saite bei diesem Lovikka-Modell ergibt sich aus der Konstruktion des Halbton-Hebels bei Lovikka. Dieser verkürzt hier die mittlere Saite ein wenig, so dass die Halbierung der Saite etwas aus der Linie gerät.

Richtig interessant wird diese Technik deshalb, weil man damit den Tonumfang des Instruments so erweitern kann, dass man statt fünf immerhin neun Töne der Notenskala spielen kann. Denn neben der Oberton-Position in der Mitte der Saite, die die Oktave des Grundtons erzeugt, gibt es noch weitere geeignete Positionen. Deshalb habe ich bei meiner Kantele gleich noch eine zweite Obertonreihe eingezeichnet, die die Quinte über dem Grundton erzeugt. Ich versuche mal, das durch dieses Foto etwas zu verdeutlichen:

Funktioniert in Dur und Moll: Obertonreihe für Oktave und für die Quinte
darüber. Damit kann man den Tonraum auf neun Töne erweitern.

Um das selber auszuprobieren, braucht ihr ein Instrument mit den entsprechenden Markierungen - oder ihr müsst sie selber an der richtigen Stelle anbringen. Wie das geht, zeigen die folgenden Bilder. Man braucht dazu zwei Bleistifte - derjenige, den man zum Anzeichnen verwendet, sollte unbedingt ein weicher Bleistift (z.B. Härtegrad "B") sein! Wichtig ist auch: völlig ohne Druck anzeichnen! Besonders auf lackierten Instrumenten hinterlässt man sonst womöglich dauerhafte Spuren, die sich nicht mehr entfernen lassen!

So, und nun geht's an die Arbeit. Um die exakte Oberton-Position zu bestimmen, legt man mit der einen Hand einen der Bleistifte locker auf die erste Saite. Mit der anderen Hand zupft man die Saite mehrfach hintereinander an. Dabei gleitet man mit dem aufgelegten Bleistift langsam in Richtung Saitenmitte. Während es zuvor nur "scheppert", hört man an der richtigen Position plötzlich einen klaren Ton. Diese Position wird markiert:

Bleistift locker auflegen und Richtung Mitte verschieben,
dabei Saite mehrfach anzupfen.

Wenn der Ton klar wird, genau diese Position...

... mit weichem Bleistift markieren.

Den Vorgang auf der nächsten Saite wiederholen...

... und auch hier exakt markieren.

Idealerweise die Markierung nicht direkt unter, sondern leicht nach vorn versetzt
platzieren. Damit ist die Oktavreihe fertig.


Das Verfahren jetzt etwas rechts (oder nach Belieben auch links)
wiederholen, um die Quintreihe zu markieren.

Wenn man sich leicht vertan hat, ...

... kann man das leicht beheben. Vorausgesetzt, man hat...

... einen weichen Bleistift benutzt und nicht zu fest draufgedrückt.

Wem die Bleistift-Markierungen nicht gefallen, der kann dann an dieser Stelle noch Aufkleber, Lackstift oder Lötkolben verwenden, um die Punkte ganz nach Belieben dauerhaft hervorzuheben. Aber auch die aus Bleistift werden sich nicht abnutzen: man berührt ja bei der Kantele das Griffbrett ja nie.

Eine genauere Beschreibung der Flageolett-Spieltechnik werde ich zu gegebener Zeit hier bereitstellen.

Text und Bilder: Peter Widenmeyer, 2015

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